4 Bereiche, in denen Digitalisierung die Immobilienbranche im neuen Jahrzehnt verändern wird

4 Bereiche, in denen Digitalisierung die Immobilienbranche im neuen Jahrzehnt verändern wird

Obwohl Digitalisierung als inflationär gebrauchtes Buzzword so mancher altgedienten Führungskraft die Nackenhaare aufstellt, lässt sich bei der Bedeutung für das neue Jahrzehnt kaum untertreiben. In Anbetracht von Klima- und demografischem Wandel, minimalen Zinsen und Renditen sowie einer selbstbewussten Arbeitnehmerschaft muss Wachstum heute aus Produktivitätsgewinnen generiert werden, an die ohne die Nutzung digitaler Technologien nicht mehr zu denken ist. Dabei geht es nicht nur um die Übersetzung von analogen Prozessen in Einsen und Nullen. Es geht um das radikale Neudenken von Arbeitsabläufen und Geschäftsmodellen. Und ob man nun aktuelle Forschung oder eine Karriere in der Immobilienwirtschaft im Sinn hat: Diese Trends sollte man im Auge behalten. Im Folgenden sollen daher 4 Bereiche und entsprechende Unternehmen vorgestellt werden, in denen Digitalisierung im neuen Jahrzehnt für disruptive Veränderungen in der Immobilienbranche sorgen wird.

1. Robotergesteuerte Prozessautomatisierung

Wohin gehen Sie, wenn Sie Bargeld von Ihrem Konto abheben möchten? Wenn Ihre Antwort nicht „Geldautomat“, sondern „am Schalter“ lautet, dann zolle ich Ihnen größten Respekt, dass Sie in Ihrem Alter noch Artikel im Internet lesen! Ansonsten ist der Geldautomat jedoch eines der besten Beispiele für die Selbstverständlichkeit von Automatisierung in unserem Alltag, im Englischen sogar wortwörtlich: die übliche Abkürzung ATM steht dort für Automated Teller Machine, also automatisierte Bankkassierer-Maschine. Seit knapp 50 Jahren wird es immer unüblicher, Geld bei menschlichen Bankangestellten abzuheben. Deren Aufgaben haben sich seitdem grundlegend verändert. Ähnliches werden wir in Zukunft auch in der Immobilienbranche sehen.

Dabei hilft die Robotergesteuerte Prozessautomatisierung oder auch Robotic Process Automation, kurz: RPA. Unter Roboter werden hier allerdings hauptsächlich Softwareroboter, besser bekannt als Bots, verstanden. Diese Programme übernehmen ansonsten manuelle Tätigkeiten, indem sie eigenständig oder mithilfe von Eingabemasken Daten aufnehmen, verarbeiten und entsprechende Ergebnisse liefern. Am besten lassen sich daher Routineaufgaben und strukturierte Aufgaben mit regelbasierten Entscheidungen automatisieren. [1] Ein Beispiel aus dem Bankensektor wäre das Erhöhen des Kreditkartenlimits. Bei diesem Prozess wurden früher aufwendig Kundendokumente, Bonität und Kreditgeschichte manuell geprüft – was Wochen dauern und selbst dann zur Ablehnung führen konnte. Heute werden all diese Daten automatisch und in einem Bruchteil der Zeit verarbeitet und zu einer regelbasierten Entscheidung gebündelt.

Wie kann das in der Immobilienbranche funktionieren? Ein Beispiel ist die Rechnungsprüfung: eingehende Rechnungen wandern im Zuge der Rechnungsprüfung gern von Schreibtisch zu Schreibtisch – und gehen im schlimmsten Fall verloren, wodurch nicht nur Einsparungen durch Skontofristen verpasst, sondern teilweise auch Mahngebühren fällig werden. Das Münsteraner Unternehmen Eucon übersetzt eingehende Rechnungen sofort in Buchungsinformationen und integriert diese mit bestehenden Leistungsbeschreibungen und entsprechenden Prüfungsprozessen. So können Rechnungsdaten in Echtzeit geprüft und verarbeitet werden. So können Kennzahlen deutlich akkurater und die Finanzplanung vorhersehbarer bestimmt werden. Zudem wird Mitarbeitern lästige Routinearbeit abgenommen, sodass sie sich auf die (weniger strukturierten) Aufgaben konzentrieren können, die Menschen weiterhin besser können als Maschinen: Planen, Bauen, Mieter und Käufer glücklich machen. Für die Immobilien- und Bauwirtschaft ist dies auch besonders von Bedeutung, da ab dem 27.11.2020 alle Lieferanten gegenüber öffentlichen Auftraggebern verpflichtet werden, Rechnungen über 1.000 Euro elektronisch zu stellen.

2. Data Science

Ein Buzzword ähnlicher Prominenz wie „Digitalisierung“ ist wohl Big Dataaber nicht ohne Grund. Wir leben immer mehr in einem Zeitalter, dessen Währung Daten sind. Noch nie waren Daten so frei und in solchen Massen verfügbar wie heute. Doch Daten allein nützen noch nicht viel: Sie müssen erst in Informationen verwandelt werden. Dazu stehen Datenanalysten von heute zahlreiche statistische Tools zur Verfügung. Dazu zählen insbesondere Regressionsverfahren, mit denen tatsächlich gezahlte Immobilienpreise in sogenannte hedonische Preise für einzelne Eigenschaften (z.B. einen Balkon oder eine besonders gute Lage) zerlegt werden können, um für andere Immobilien, deren Eigenschaften man vorgibt, erzielbare Preise vorherzusagen. Diese Methoden werden zunehmend wichtiger, da aufgrund von Nachfrageverschiebungen in Zukunft die nachhaltige Vermarktung der Assets wichtiger werden wird als die Einwerbung von Kapital. [2]

Die Qualität der Ergebnisse einer solchen hedonischen Preisanalyse steht und fällt offensichtlich mit den Daten, die in die Regression eingehen. Hier gilt das alte Bonmot der Computerwissenschaftler: Garbage in, garbage out. Eine Berechnung, in die nur Müll eingeht, kann auch nur Müll produzieren. Dabei zählen sowohl Quantität als auch Qualität der Daten. Insbesondere anspruchsvolle statistische Methoden unter Einsatz von künstlicher Intelligent (KI) erfordern sehr viele sehr gute Daten. Dazu werden meist verschiedene unterschiedliche Datenquellen angezapft und miteinander verknüpft. Für die erwähnten hedonischen Preismodelle bedeutet das beispielsweise die Integration von Webscraping (dem automatisierten Auslesen von Webseiten) und vorhandenen oder gekauften Datenbanken, angereichert mit Daten aus Geoinformationssystemen (GIS). Zudem müssen diese Daten nicht nur gesammelt und analysiert, sondern auch interpretiert und visualisiert werden. Aus tausenden Tabellenzeilen ist noch keiner schlau geworden, erst die Aufbereitung der Daten und Analysen kann den gewünschten Erkenntnisgewinn bringen.

Diese Methoden liegen offensichtlich nicht im Bereich der Spezialisierung der meisten Akteure im Immobiliensektor. Deshalb werden Immobilienunternehmen bei diesen komplexen Aufgaben von anderen Unternehmen wie zum Beispiel dem Berliner Start-Up realxdata unterstützt. Es werden nicht nur eigene Daten analysiert, sondern auch Abgleiche mit Marktdaten vorgenommen, um so jederzeit ein Benchmarking vornehmen zu können. Die ansonsten schwierige Messung der Performance von Immobilienportfolios lässt sich somit durch den geschickten Einsatz von Daten und Analysetools signifikant vereinfachen.

3. Distributed Ledger Technology

Während die Begriffe „Digitalisierung“ und „Big Data“ in aller Munde sind, wissen vergleichsweise weniger Leute, was mit Distributed Ledger (wörtlich übersetzt: verteilte Kassenbücher) gemeint ist. Und außer einigen Computerwissenschaftlern, die deutlich schlauer sind als ich, können es noch viel weniger Leute erklären – deswegen versuche ich dies soweit möglich zu umgehen. Das bekannteste Beispiel für die Distributed Ledger Technologie ist die auf einer Blockchain basierte Kryptowährung Bitcoin. Jedoch ist nicht jede Anwendung der Technologie auch eine Kryptowährung oder eine Blockchain. Vielmehr hat der Hype um Bitcoin und dessen volatile Kursentwicklung die Technologie in Verruf gebracht. Auch wenn die Technologie nicht der teils propagierte Heilsbringer ist – es gibt zahlreiche interessante Anwendungen für Distributed Ledger.

Was ist überhaupt die Distributed Ledger Technologie (DLT)? Grundsätzlich handelt es sich um eine Gruppe von Verfahren zur Verwaltung und Dokumentation von Transaktionen. Dies wird üblicherweise von einer zentralen Instanz vorgenommen, was einem zentralen Konto oder Register entspräche. Als Beispiel kann hier das Grundbuch genannt werden, in dem sämtliche Transaktionen über Grund und Boden vermerkt werden und dessen Richtigkeit als gegeben angenommen wird. Bei der DLT kommen hingegen zahlreiche, dezentral verteilte und von verschiedenen Instanzen verwaltete Kopien dieses Registers (Ledgers) zum Einsatz. Um sicherzustellen, dass diese Kopien identisch sind, gibt es verschiedene Methoden, eine Übereinstimmung (Konsens) zu erreichen, über die sich die verschiedenen Arten von DLT dann unterscheiden. Darüber hinaus können sich die Spielarten der DLT auch über den Grad der Anonymität unterscheiden. Ein großer Vorteil der Technologie ist der Sicherheitsaspekt. Im Wettrüsten mit Hackern ist es ein großes Risiko, einen sogenannten Single Point of Failure (zu deutsch: einzelnen Ausfallpunkt) zu haben, wie zentral verwaltete Register ihn darstellen. Ein dezentral verteiltes System von Registern, das über eine geeignete Konsensmethode verifiziert wird, ist deutlich schwerer zu manipulieren.

Bekannte Anwendungen der DLT sind die erwähnten Bitcoins oder auch die vollständig digital abgewickelte Schuldscheintransaktion der NRW.Bank über die Blockchain-basierte Plattform finledger, einer Kooperation mehrerer großer deutscher Finanzinstitute. In der Immobilienwirtschaft hat das Hamburger Start-Up Finexity auf sich aufmerksam gemacht. Vereinfacht gesagt wird hierbei eine Immobilie in eine speziell für diesen Zweck gegründete Gesellschaft eingebracht, deren Anteile dann mittels DLT gehandelt werden können. Da Immobilien ansonsten schwer handelbar und Transaktionen mit hohen Kosten verbunden sind, macht dies Immobilien so handelbar (fungibel) wie nie zuvor. Zudem lassen sich so auch mit geringem Kapital Anteile an Immobilien erwerben, was die Diversifikation des eigenen Portfolios erleichtert und auch mit geringem frei verfügbarem Kapital ermöglicht. Dies hat das Potenzial, die Assetklasse Immobilien nachhaltig zu verändern.

4. Virtual/ Augmented Reality

Die ersten Vorläufer dessen, was heute Virtual Reality (Virtuelle Realität, kurz: VR) und Augmented Reality (Erweiterte Realität, kurz: AR) genannt wird, stammen zwar aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Aber erst der exponentielle Fortschritt der letzten Jahre in diesem Bereich hat dieser Technologie zu einer Art Renaissance verholfen. Bereits um das Jahr 2000 herum wurde VR erfolgreich beim Training von Chirurgen eingesetzt. [3] Seitdem ist Rechenleistung immer günstiger und verfügbarer geworden, sodass nicht nur deutlich eindringlichere Erfahrungen kreiert werden können, die entsprechende Hard- und Software für Virtual Reality ist zudem heute für nahezu jedermann erschwinglich geworden. Und wenn eine solche Technologie erst einen Massenmarkt erreicht, dann nimmt die Entwicklung bekanntlich erst richtig Fahrt auf.

VR und AR verfolgen dabei ähnliche Ansätze, unterscheiden sich jedoch in einigen Schlüsselaspekten. Während der Nutzer bei VR vollständig in eine künstlich kreierte Welt eintaucht, wird bei AR die tatsächliche Realität wahrgenommen und um virtuelle Elemente ergänzt. Beides ist technisch sehr aufwendig, da die Bildgeräte (üblicherweise in Headsets integrierte Bildschirme) ihre Anzeige perfekt mit den Bewegungen des Nutzers abstimmen müssen. In Zukunft werden diese – heute noch sehr klobigen Geräte – immer kleiner und praktischer werden und zusätzliche Sensorkanäle integrieren, beispielsweise durch haptisches Feedback, sowie z.B. über Eye-Tracking Daten über Aufmerksamkeit und Präferenzen generieren, um die kreierte Umwelt zu optimieren.

Die Immobilienbranche nutzt diese Technologie derzeit vorwiegend, um zum Beispiel virtuelle Rundgänge in Immobilien – vor allem bei noch nicht fertiggestellten Projektentwicklungen – zu ermöglichen. In diesem Bereich gibt es bereits zahlreiche Anbieter. VR kann aber auch auf der Baustelle helfen. So wird an der Ruhr-Universität Bochum unter anderem an Anwendungen zur Arbeitssicherheit auf Baustellen gearbeitet. Zudem wird AR eingesetzt, um Baustellenbesichtigungen effektiver und effizienter zu gestallten. So kann Gamma AR beispielsweise das tatsächlich Gesehene mit Informationen aus dem Building Information Modeling (BIM) anreichern. So lässt sich nicht nur der Baufortschritt, sondern auch etwaige Fehler schnell erkennen. Auf der Baustelle des 21. Jahrhunderts wird es wohl in Zukunft immer weniger Pläne, dafür mehr VR- und AR-Brillen geben.

Digitalisierung ist kein Sprint

Die Immobilienbranche hat bereits einige Schritte getan, um dem Megatrend der Digitalisierung zu begegnen. Aber als bekanntermaßen eher langsam agierende Branche hat sie noch einen langen Weg vor sich. Die Branche hat eine Dekade voller Rekorde hinter sich. Das folgende Jahrzehnt wird womöglich eher von einer Abkühlung der Märkte geprägt sein. Dies wird den Druck auf die Akteure erhöhen – wer dann nicht effizient genug arbeitet und auf die Zukunft eingestellt ist, bleibt möglicherweise auf der Strecke.

Doch auch ohne Horrorszenarien bleibt beim Thema Digitalisierung genug Raum zum Träumen. Viele der vorgestellten Technologien stecken noch in den Kinderschuhen, wenn man sich die möglichen Anwendungen bei ihrer vollständigen Reife vor Augen führt. Eins scheint jedoch klar: Die Immobilienunternehmen und Baustellen des Jahres 2030 werden sehr anders aussehen als heute. Und darauf kann man durchaus gespannt sein.


[1] Czarnecki, Christian und Auth, Gunnar (2018): Prozessdigitalisierung durch Robotic Process Automation. In: Digitalisierung in Unternehmen. Von den theoretischen Ansätzen zur Praktischen Umsetzung. S. 113-132. Wiesbaden: Springer Vieweg.

[2] Pfnür, Andreas; Wagner, Benjamin; Meyer, Kevin (2019): Transformation der Immobilienwirtschaft – Aktueller Entwicklungsstand und Perspektiven des Strukturwandels. In: Immobilien & Finanzierung. Vol. 70, Heft 7, S.26-28.

[3] Seymour, Neal E.; Gallagher, Anthony G.; Roman, Sanziana A.; O’Brien, Michael K.; Bansal, Vipin K.; et al. (2002): Virtual Reality Training Improves Operating Room Performance. Results of a Randomized, Double-Blinded Study. In: Annals of Surgery. Vol. 236, Heft 4, S. 458-464.